Hören & Zuhören

Der Blog von zuhoeren dreht sich um alles, was mit Hören zu tun hat. Musik, Geräusche, Meinungen, Töne, Positionen ... Nur selten um Werbung und Marketing. Die andere Seite von zuhoeren und ganz im Sinne von Immanuel Kant:

„Nichtsehen trennt den Menschen von den Dingen,
Nichthören trennt den Menschen vom Menschen.“



Samstag, 25. September 2010

Nicht jedes Ereignis ist ein Ereignis

"Es gibt sie noch, die guten Dinge" - dieser Slogan von Manufactum ist charmant, löst er in einem doch die Sehnsucht nach der "guten" alten Zeit aus, nach etwas Verlorenem. Wenn wir dieses wieder finden (oder kaufen im Katalog von Manufactum), so das Versprechen, kommt sie wieder, die "gute" alte Zeit. War sie wirklich so gut? Warmes Wasser, nur wenn man Holz für den Ofen anschürt, der Besuch der Oma in Hamburg, eine kleine Weltreise, Samstag, ein ganz normaler Arbeitstag ... Beispiele gibt es viele, die die "gute" alte Zeit in einem etwas anderem Licht erscheinen lassen.

Zum Glück gibt es das Heute! Wenn es nur nicht so hektisch wäre, die Zeit immer knapper wird, die Menschen kaum mehr Momente der Ruhe, des Innehaltens haben - alles ist durchgetaktet, jeder ein Sender, kaum mehr Empfänger ... und alles überwältigend groß, einmalig, unvergleichlich. Das Mega-Event, der Weltbestseller, das Superspiel, die technologische Revolution, das Wundermittel. In einer Flut der Neuheiten gehen wir unter und haben kaum mehr die Möglichkeit der Bewertung. Wir verlassen uns auf die anderen, Journalisten, Kritiker, Freunde. Wir empfehlen weiter auf der Basis vom "Hören-Sagen". Botox, iPad, Jonathan Franzen "Freiheit" - für die Kritik ein literarisches Beben, ein Ereignis. In Amerika hochgelobt.

Ich habe schon sein Buch "Die Korrekturen" nach 50 Seiten zur Seite gelegt (womit ich das Werk nicht bewerten möchte). Natürlich: Sauber erzählt, gut komponiert, aber reicht das aus? Ich erinnere mich noch an meine erste Lektüre von "Ulysses" von James Joyce, in der alten Übersetzung. Es hat mich mitgenommen, auch wenn ich es damals (und auch heute) nicht ganz durchdrungen habe. Und dann die Übersetzung von Hans Wollschläger. Das Buch in schlichtem Schwarz, darauf ganz klar die Schrift "James Joyce Ulysses" Suhrkamp. Klassisch, - ein Vogriff auf das Apple-Design der heutigen Tage. Natürlich ist Ulysses nicht jedermanns Sache, aber hier schrieb ein Besessener und schuf eine rhythmische Komposition (1000 Seiten) - und hier übersetzte ein "schöpferischer Nachdichter" mit einer unglaublichen Leidenschaft.

Seine Lesung im Kollegienhaus der Universität Erlangen-Nürnberg (also in den späten 80zigern) war für mich ein unglaubliches Ereignis. Da saß jemand und las aus dem Jahrhundert-Roman mit Worten, die Bilder entstehen ließen, spielte mit den Tönen und Lauten, versuchte den Rhythmus und die Sprachgewalt des Iren James Joyce authentisch im Deutschen nachzubilden. Er hat es geschafft uns alle, die wir da im großen Hörsaal saßen, mitzunehmen auf diese Reise. Wir haben zugehört, gelauscht, in uns hinein gespürt. Es war ein Abenteuer, noch ohne YouTube und Podcast - ganz auf das eigene Gehör, den eigenen Eindruck "beschränkt". Man muss darüber erzählen, sich mit Freunden und Weggefährten, die bei der Lesung dabei waren, austauschen, um die Erinnerungen wach zu halten.

Ein kleines Tondokument aber gibt es im Wikipedia-Eintrag, viel Spaß beim Zuhören. Ein anderes Abenteuer ist übrigens Armo Schmidt und sein Buch Kaff. Hier kann man das Lautmalen lernen, schrieb er doch wie er sprach - oder zu sprechen dachte. Beispiel gefällig?

>> Joa; in der Schule << sagte sie, unbegeistert : >> MÄCK=BÄSS - oh shiver my timbers. - Ich weeß : das schteht nie drinne. << fügte sie hastisch hinzu.

Nach dem Sinn zu fragen ist hierbei müßig, vielleicht nur ein großer Spaß. Genug davon - das Wochenende ist da mit Dauerregen und Zeit für die schönen Dinge des Lebens: Zuhören, Lesen, Entspannen ...