Hören & Zuhören

Der Blog von zuhoeren dreht sich um alles, was mit Hören zu tun hat. Musik, Geräusche, Meinungen, Töne, Positionen ... Nur selten um Werbung und Marketing. Die andere Seite von zuhoeren und ganz im Sinne von Immanuel Kant:

„Nichtsehen trennt den Menschen von den Dingen,
Nichthören trennt den Menschen vom Menschen.“



Samstag, 11. Dezember 2010

Inhalt verliert nie an Aktualität - zum Thema Verantwortung

"Was ist das eigentlich, Verantwortung? ... Können wir vielleicht sagen, dass die elementarste Voraussetzung, Verantwortung zu übernehmen, darin besteht, mit jemand anderem oder etwas anderem kommunizieren zu können?Verantwortung heißt dann aber automatisch, den andern Menschen, die Gemeinschaft, die Umwelt zu bejahen. Um kommunizieren zu können, muss man in einer Beziehung zum Gegenüber stehen. Sobald es jedoch um Beziehung geht, realisieren wir, dass es keine nur rationale Verantwortung geben kann, sondern dassVerantwortung immer auch eine emotionale Komponente voraussetzt. Verantwortung tragen heißt also, fähig zu sein, Emotionen zu haben, emotionell zu leben und emotionell zu reagieren. Damit ist aber auch gesagt, dass es Verantwortung nur dann geben kann, wenn eine Emotion übrhaupt möglich ist. Man kann also Verantwortung haben gegenüber den Mitmenschen, gegenüber einer Gemeinschaft, gegenüber der Kreatur, der Natur oder gegenüber dem Transzendentalen, dem Göttlichen. Einem abstrakten Gebilde gegenüber - dem Staat, den Unternehmen, der Armee, der Kirche als Institution, der Pensionskasse - gibt es nur dann Verantwortung, wenn man sich innerlich damit identifizieren kann. Weil jedoch diese Identifikation nicht von vornherein sicherzustellen ist - sie kann auch im Laufe der Zeit verschwinden -, tritt bei dieses abstrakten Gebilden an die Stelle der Verantwortung die normierte Pflicht, die aufoktroyierte Verhaltensnorm. An die Stelle der selbstbestimmten Verantwortung tritt die fremdbestimmte Verpflichtung. Wenn wir davon ausgehen, dass Verantwortung eine innere Haltung ist, dann erkennen wir aber auch, dass unser Versuch, Verantwortung in Rechtsnormen umzuwandeln, ein Widerspruch in sich selbst ist. ... Noch viel wichtiger ist, dass es gar nie gelingen kann, Verantwortung durch Normen zu fixieren, da Rücksichtnahme, Verantwortung eben eine andere innere Haltung, ein Bewusstsein für den anderen oder für das andere, eine andere Einstellung verlangen. Deshalb müssen auch alle Versuche scheitern, das Umweltproblem, das Problem der Dritten Welt usw. über Gesetze und Abkommen regeln zu wollen."
Diese Passage (und auch viele andere) haben nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Sie stammt aus dem Buch von Hans A. Pestalozzi "Nach uns die Zukunft - Von der Kraft der positiven Subversion" aus dem Jahre 1979. Der Schweizer Pestalozzi (geb.1929, gest. 1984)  ist einer Linie mit Robert Jungk, Frederic Vester oder auch Herbert Gruhl zu sehen. Er geht auf den Totalitätsanspruch der Wirtschaft ein, nimmt eine kritische Haltung zum Fortschrittsglauben und zum ungehemmten Wachstum ein, zeigt auf, welche Alternativen es gibt und stellt das Individuum, die eigene kritische Haltung, das Denken, in den Mittelpunkt. Nicht "nachbeten", sondern hinterfragen, diskutieren. Als Pädagoge ruft er dabei seine Kollegen auf, die Schüler anders zu erziehen ...

"Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene Rebellen sein zu können. Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene nonkonform sein zu können. Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene selbständig zu urteilen, selbständig entscheiden, selbständig handeln zu können."
Pestalozzi ist kein Revolutionär (er war Manager beim Migros-Konzern, leitete das renommierte Gottlieb Duttweiler Institut, wurde aber nach Veröffentlichung des Buches 1979 fristlos entlassen), er will die Grundlagen unserer Gesellschaft "einlösen", die demokratischen und auch christlichen Werte wie Gemeinschaft, Solidarität, Zusammenarbeit, Selbstentfaltung, Lebensfreude, Frieden und Konfliktbewältigung ... Sein statt Haben (Erich Fromm). Es lohnt sich also diesen Klassiker "Nach uns die Zukunft" gerade jetzt wieder aus dem Regal zu nehmen und zu lesen. Oder zu kaufen. Viel Vergnügen und anregende Gedanken.