Hören & Zuhören

Der Blog von zuhoeren dreht sich um alles, was mit Hören zu tun hat. Musik, Geräusche, Meinungen, Töne, Positionen ... Nur selten um Werbung und Marketing. Die andere Seite von zuhoeren und ganz im Sinne von Immanuel Kant:

„Nichtsehen trennt den Menschen von den Dingen,
Nichthören trennt den Menschen vom Menschen.“



Mittwoch, 29. Dezember 2010

Traditionen leben

Gerade die Weihnachtszeit ist ja ein Hort der Traditionen: Familien gehen in die Kirche, Großfamilien treffen sich zu Gans oder Puter, Freunde kommen auf einen Glühwein zusammen, Kinder bauen ihre Kaufläden oder Eisenbahnen auf, die Verwandtschaft trifft sich an festgelegten Orten und in festgelegten Runden am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag. Für viele gehört auch der Film "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" zum Festtagsprogramm (ähnlich wie "Dinner for one" zu Silvester). Wunderbare Traditionen, geben sie doch für kurze Zeit Halt in dieser schnelllebigen Welt. Auch wenn wir sie durchschauen, leben wir sie aus und machen mit. Wii, Harry Potter, Klanghaus oder Facebook sind in die Parallelwelt verbannt - zumindest an Weihnachten.

Eine schöne Tradition ist auch das Vorlesen - wenn es noch gepflegt wird, dann in den Tagen im Advent. Die Abende werden länger und man hat Zeit. Die Bücherindustrie bedient dieses Bedürfnis auf vielerlei Weise. Ein Trend, der die Gabentische in den Buchhandelsketten inzwischen vollständig erobert hat, sind Weihnachtsgeschichten in 24 Kapiteln - wobei oft die einzelnen Kapitel in Doppelseiten versteckt sind, die man auftrennen muss. Man kann also nur vom Titel und dem kurzen Klappentext auf den Inhalt schließen und hoffen, dass der Autor eine glückliche Hand gehabt hat. Auch bei uns hat sich diese Tradition eingebürgert. Das erste Buch in dieser Art war der Weihnachtskrimi von Wolfram Hänel "Der dritte Weihnachtsmann". Eine spannende Geschichte, ein Kinderkrimi, der einfach Spaß macht. Genauso wie der Nachfolger "Die Weihnachtsmarktbande" oder "Die gefährlichen Schneemänner", dieser Krimi ist allerdings von Jo Pestum.

Eine gelungene Weihnachtsgeschichte
Anderes Terrain betritt die Weihnachtsgeschichte von Jasna Mittler. Ihr Buch "Der heilige Erwin", beschreibt in 24 Kapiteln, diesmal nicht zum Auftrennen, wie Gott nach 2000 Jahren wieder mal auf der Erde nach dem Rechten sieht - und dabei so einiges erlebt. Eine wunderbare Geschichte, die zum Nachdenken und Schmunzeln einlädt, uns ab und an den Spiegel vorhält ohne zu "pädagogisieren". Inzwischen auch als Hör-CD zu bekommen, für die, die lieber hören.

"Der heilige Erwin" ist ein gelungenes (Vorlese)buch - was man allerdings von dem Adventskrimi "Wer hat Angst vorm Weihnachtsmann" nicht behaupten kann. 24 Kapitel, diesmal wieder zum Auftrennen. Das ist auch gut so, denn wenn man vorher die Seiten lesen könnte, würde man das Buch ins Antiquariat geben oder auf dem Flohmarkt verschenken. Weder die Geschichte noch die Illustrationen lassen Spannung aufkommen oder mitfiebern. Es ist eine krude Story um Mord und Totschlag in Mafiakreisen, wobei einige Hauptakteure in Elch- oder Weihnachtsmannkostümen stecken und alles um den Heiligen Abend angesiedelt ist. Die Sprache ist aufgesetzt modern, die Charaktere ein Gegenprogramm zur weihnachtlichen Beschaulichkeit. Das könnte gut werden, ist aber - wie schon gesagt - mißraten. Zum Glück ist nach 24 Kapiteln alles irgendwie vorbei und man kann sich nach dem Vorlesen bei der Gans vor dem Weihnachtsbaum erholen, die Geschenke auspacken und die Feitertage geruhsam einläuten. Traditionen sei Dank.

Samstag, 11. Dezember 2010

Inhalt verliert nie an Aktualität - zum Thema Verantwortung

"Was ist das eigentlich, Verantwortung? ... Können wir vielleicht sagen, dass die elementarste Voraussetzung, Verantwortung zu übernehmen, darin besteht, mit jemand anderem oder etwas anderem kommunizieren zu können?Verantwortung heißt dann aber automatisch, den andern Menschen, die Gemeinschaft, die Umwelt zu bejahen. Um kommunizieren zu können, muss man in einer Beziehung zum Gegenüber stehen. Sobald es jedoch um Beziehung geht, realisieren wir, dass es keine nur rationale Verantwortung geben kann, sondern dassVerantwortung immer auch eine emotionale Komponente voraussetzt. Verantwortung tragen heißt also, fähig zu sein, Emotionen zu haben, emotionell zu leben und emotionell zu reagieren. Damit ist aber auch gesagt, dass es Verantwortung nur dann geben kann, wenn eine Emotion übrhaupt möglich ist. Man kann also Verantwortung haben gegenüber den Mitmenschen, gegenüber einer Gemeinschaft, gegenüber der Kreatur, der Natur oder gegenüber dem Transzendentalen, dem Göttlichen. Einem abstrakten Gebilde gegenüber - dem Staat, den Unternehmen, der Armee, der Kirche als Institution, der Pensionskasse - gibt es nur dann Verantwortung, wenn man sich innerlich damit identifizieren kann. Weil jedoch diese Identifikation nicht von vornherein sicherzustellen ist - sie kann auch im Laufe der Zeit verschwinden -, tritt bei dieses abstrakten Gebilden an die Stelle der Verantwortung die normierte Pflicht, die aufoktroyierte Verhaltensnorm. An die Stelle der selbstbestimmten Verantwortung tritt die fremdbestimmte Verpflichtung. Wenn wir davon ausgehen, dass Verantwortung eine innere Haltung ist, dann erkennen wir aber auch, dass unser Versuch, Verantwortung in Rechtsnormen umzuwandeln, ein Widerspruch in sich selbst ist. ... Noch viel wichtiger ist, dass es gar nie gelingen kann, Verantwortung durch Normen zu fixieren, da Rücksichtnahme, Verantwortung eben eine andere innere Haltung, ein Bewusstsein für den anderen oder für das andere, eine andere Einstellung verlangen. Deshalb müssen auch alle Versuche scheitern, das Umweltproblem, das Problem der Dritten Welt usw. über Gesetze und Abkommen regeln zu wollen."
Diese Passage (und auch viele andere) haben nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Sie stammt aus dem Buch von Hans A. Pestalozzi "Nach uns die Zukunft - Von der Kraft der positiven Subversion" aus dem Jahre 1979. Der Schweizer Pestalozzi (geb.1929, gest. 1984)  ist einer Linie mit Robert Jungk, Frederic Vester oder auch Herbert Gruhl zu sehen. Er geht auf den Totalitätsanspruch der Wirtschaft ein, nimmt eine kritische Haltung zum Fortschrittsglauben und zum ungehemmten Wachstum ein, zeigt auf, welche Alternativen es gibt und stellt das Individuum, die eigene kritische Haltung, das Denken, in den Mittelpunkt. Nicht "nachbeten", sondern hinterfragen, diskutieren. Als Pädagoge ruft er dabei seine Kollegen auf, die Schüler anders zu erziehen ...

"Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene Rebellen sein zu können. Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene nonkonform sein zu können. Wir müssen Kinder dazu erziehen, als Erwachsene selbständig zu urteilen, selbständig entscheiden, selbständig handeln zu können."
Pestalozzi ist kein Revolutionär (er war Manager beim Migros-Konzern, leitete das renommierte Gottlieb Duttweiler Institut, wurde aber nach Veröffentlichung des Buches 1979 fristlos entlassen), er will die Grundlagen unserer Gesellschaft "einlösen", die demokratischen und auch christlichen Werte wie Gemeinschaft, Solidarität, Zusammenarbeit, Selbstentfaltung, Lebensfreude, Frieden und Konfliktbewältigung ... Sein statt Haben (Erich Fromm). Es lohnt sich also diesen Klassiker "Nach uns die Zukunft" gerade jetzt wieder aus dem Regal zu nehmen und zu lesen. Oder zu kaufen. Viel Vergnügen und anregende Gedanken.